Wir alle kennen die Situation, in der man sich sagt: “Ich mache das später, ich mache es morgen.” Das systematische Aufschieben von Aufgaben, Vorsätzen oder Entscheiden wird in der Fachsprache “Prokrastination” genannt. Prokrastination ist der Erzfeind der Leistungsfähigkeit. Erfolgreiche Menschen verfügen über Strategien Prokrastination zu überwinden, um ihre Ziele zu erreichen

Wie kann man diesen Zustand überwinden? Als Erstes ist es wichtig, den Ursachen auf den Grund zu gehen. Das ist die Voraussetzung dafür, die richtige Strategie zu entwickeln, um die Probleme zu lösen. In einem ersten Teil wird auf die zwei häufigsten Ursachen eingegangen: 1) die Schwierigkeit, Prioritäten zu setzen und 2) mangelnde Klarheit über die Aufgabe oder das Ziel.

1. Ursache: Die Unfähigkeit, Wichtiges von Unwichtigem und Dringendes vom nicht-Dringendem zu unterscheiden sowie Prioritäten zu setzen.

Die Aufgaben sammeln sich an. Wo soll ich anfangen? Was muss ich jetzt erledigen? Was kann ich auch später tun? Die Lösung um in diesem Fall voranzukommen ist, eine Liste aller Aufgaben zu erstellen, die dann nach Wichtigkeit und Dringlichkeit eingeordnet und zeitlich in einen Aktionsplan erfasst werden. Die Priorisierung erfolgt in drei einfachen und logischen Schritten:

A. Eine Liste aller Aufgaben erstellen:
Bereits der Umstand, dass die Dinge niedergeschrieben werden, hilft, diese in ihrer Gesamtheit im Blick zu behalten und Klarheit über das Ziel zu gewinnen. Manchmal ist es sinnvoll, Aufgaben in Teilschritte zu zergliedern.

B. Sortieren und Prioritäten setzen:
Die anfallenden Aufgaben können gemäss Wichtigkeit und Dringlichkeit sortiert werden:

Priorität 1: „Dringend und wichtig“

Priorität 2: „Dringend, jedoch unwichtig“ oder „Wichtig, jedoch nicht dringend“

Priorität 3: „Nicht dringend und nicht wichtig“.

C. Fristen setzen, für regelmässige Kontrolle sorgen… und los legen:
In diesem Schritt werden die Aufgaben gemäss der zugeteilten Priorität in einen Kalender eingetragen. Es ist wichtig, realistische Zeitrahmen zu setzen. Für langfristige Projekte kann es sinnvoll sein, auch Termine für die Zwischenkontrolle festzulegen. So wird ein Überblick sichergestellt, welcher es erlaubt, die Prioritäten und die Termintreue zu gewährleisten.

2. Ursache: Mangelnde Klarheit über die Aufgabe oder das Ziel.

Es ist schwierig, sich vorwärts zu bewegen, wenn die Sicht schlecht ist. Wenn die Aufgabe nicht klar ist, und wenn man sich über die Richtung unsicher ist, ist es normal, dass der Anfang schwer fällt. Vielleicht aus Angst, alles noch ein mal von vorne beginnen zu müssen, oder das Ergebnis völlig falsch sein könnte.
Sie haben eine gute Idee, können sie aber nicht umsetzten, weil Ziel und Aufgabe viel zu vage sind. Stellen Sie sich vor, Ihr(e) Vorgesetzte(r) verlangt von Ihnen, die Qualität Ihrer Arbeit zu verbessern, ohne Ihnen weitere Informationen zu geben. Was genau soll das Ziel sein und wie sollen Sie vorgehen? In einer solchen Situation helfen folgende Fragen:

– Welche Ergebnisse werden angestrebt und was ist der erwartete Nutzen?
– Welche Ressourcen, welche Fertigkeiten, Personen oder finanzielle Mittel braucht es dafür?
– Wer muss beteiligt sein, damit das Ziel erreicht wird?
– Bis wann muss das Ziel erreicht, beziehungsweise die Aufgabe erfüllt sein?
– Was lässt mich wissen, dass das Ziel erreicht ist? Welche Kriterien sind entscheidend, um die Erreichung des Ziels zu messen?

Wenn das Ziel oder die Aufgabe nicht klar ist, gehen Sie wie ein externer Fachmann vor. Fassen Sie das zusammen, was Sie verstanden haben, in dem Sie die gleichen Fragen wie oben stellen. Dann können Sie die Themen den beteiligten Parteien zukommen lassen und eine Diskussion auslösen. Mit den erhaltenen Kommentaren und Einsichten kann das Ziel oder die Aufgabe präziser formuliert werden. Diese Vorgehensweise ermöglicht es auch, die Beteiligten schon sehr früh in den Lösungsprozess zu integrieren. Dadurch erhöht sich das persönliche Engagement der beteiligten Personen. Das Thema Zielsetzung wird in weiteren Blogbeiträgen ausführlicher behandelt.

Nach der anfänglichen Zielklärung, soll ein erster Schritt in die gewünschte Richtung gemacht werden. Auch wenn dieser nicht zu 100% mit dem Ziel übereinstimmt, besteht immer die Möglichkeit, den nächsten Schritt anzupassen. Wichtig ist, eine Dynamik auszulösen und in Bewegung zu bleiben. Mit dem ersten Schritt wird zudem die anfängliche Blockade gelöst.

Und, falls Sie später wieder damit beginnen, Aufgaben aufzuschieben, nehmen Sie sich Zeit, die bereits zurückgelegte Strecke zu begutachten. So gewinnen sie wieder Zuversicht in die eigene Leistungsfähigkeit.

Im nächsten Teil wird auf die tieferen psychologischen Ursachen der Prokrastination eingegangen: Faktoren wie Überwältigung durch das Ausmass der Aufgabe, Ängste oder vergangene Erlebnisse und Erfahrungen, die die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen.

Bis jetzt wurden die zwei häufigsten Ursachen der Prokrastination besprochen. Es gibt jedoch andere, tiefere und subjektive Ursachen, die die Leistungsfähigkeit einschränken und die Motivation voranzukommen beeinträchtigen können. So kann zum Beispiel der Umfang der Aufgabe überwältigend erscheinen; oder vergangene negative Erfahrungen können zu Unlust zum Handeln führen. Im Folgenden wird auf 6 weitere Ursachen der Prokrastination und entsprechenden Strategien zu deren Überwindung eingegangen.

3. Überwältigung: Man fühlt sich völlig überfordert, die Aufgabe scheint riesig und überwältigend zu sein. Manchmal sagen wir “Ich schaffe das nie.” oder “Heute bin ich nicht in der Stimmung.” und dann geben wir irgendwelchen Nebensächlichkeiten den Vorrang oder sitzen einfach vor einem leeren Blatt und sind nicht in der Lage, vorwärts zu machen. Es gibt mehrere Vorgehensweisen, eine solche Blockade zu lösen:

A. Das Ganze in Unterbereiche und Teilaufgaben aufgliedern. Besonders bei grösseren Projekten sind die Aufteilung in Zwischenziele und die Festlegung einer überschaubaren Struktur die ersten unumgänglichen Schritte. Dies allein lässt die Bewältigung der Aufgabe realistischer erscheinen. Es ist wie beim Aufzeichnen der Reise auf einer Karte: das Projekt oder die Zielerreichung nimmt Gestalt an und wird lebendig und realistisch. Oft ist man sich einfach nicht bewusst, dass, wenn ein Anfang gemacht worden ist, die Stimmung folgt. Also, selbst, wenn man nicht in der Stimmung ist, ist es umso wichtiger, einen kleinen Teil der Aufgabe trotzdem aufzunehmen. Und selbst, wenn die produktive Stimmung ausbleibt, wird Disziplin trainiert. Man beweist sich, “Ich kann trotzdem handeln und das, was mir wichtig ist, tun.” Und diese Fähigkeit zu besitzen ist fantastisch!

B. Konzentrieren Sie sich auf den bevorstehenden Abschnitt! Sie wissen, wohin Sie wollen, aber der Weg ist lang, der Mut verlässt Sie und Sie fragen sich “Wozu weitermachen?”. Machen Sie es wie der Läufer, der bei langen Strecken seinen Fokus auf den jeweils nächsten Meilenstein richtet. Das nächste Teilziel muss nah genug und erreichbar sein. Von dort kann man auf die zurückgelegte Strecke blicken und Mut schöpfen.

C. Eine Abkürzung suchen! Gibt es möglicherweise einen einfacheren oder kürzeren Weg? Was müssen Sie selbst erledigen und wo können Sie sich helfen lassen? Es gibt Schlüsselmomente wie vor dem Start eines Projekts oder beim Erreichen von Zwischenschritten, bei denen es sich lohnt, innezuhalten und sich genau diese Fragen zu stellen. Nicht jeder Halt muss mit Prokrastination gleichgesetzt werden. Nutzen Sie die Zeit, um sich grundsätzliche oder strategische Fragen zu stellen.

4. Ganz einfach, Angst: Angst vor dem Versagen oder Angst vor dem Erfolg und den Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Eine Präsentation, ein Interview oder eine wichtige Prüfung rückt immer näher, aus der letzten Woche wird der letzte Tag, der letzte Abend. Manchmal fallen wir in eine Negativspirale, je länger wir warten und zaudern, desto unüberwindbarer erscheint die Hürde und umso grösser wird die Angst davor. Somit ist Angst sowohl Ursache als auch Ergebnis der Prokrastination.

Wenn solche hinderliche Gewohnheiten wiederkehrende Muster bilden, lohnt es sich, diese genauer anzuschauen. Oft stehen einschränkende Glaubenssätze dahinter, die sich aus negativen Erfahrungen oder früheren Fehleinschätzungen und sozialen Prägungen aus der Kindheit ergeben haben. Man kann jedoch auch aus negativen Erlebnissen positive Lehren ziehen und diese produktiv einsetzen. Gerade diesbezüglich kann ein Coach eine nützliche externe Perspektive einbringen. Ich erinnere mich an ein Interview mit dem Olympiasieger Michael Gross, in dem er sagte, mit was für einer Einstellung er am Start steht: er sagt zu sich, “Ich habe nichts verloren und nichts gewonnen, ich habe jedoch die Möglichkeit, etwas zu gewinnen und ich freue mich zu zeigen, was in mir steckt, dafür habe ich ja trainiert.”

5. Perfektionismus: Wir haben manchmal zu grosse Erwartungen an uns selbst, nichts ist gut genug. Meistens ist jedoch “gut genug” einfach gut genug, Mehr als gut anzustreben entfernt uns von dem, was wirklich notwendig ist. Wir widmen womöglich Nebensächlichkeiten viel zu viel Zeit und dies sogar auf Kosten des Wesentlichen. Das Paretoprinzip auch Pareto-Effekt genannt, beschreibt dieses Phänomen: 80% der Ergebnisse werden mit 20% des Gesamtaufwandes erreicht. Die verbleibenden 20% der Ergebnisse benötigen 80% des Gesamtaufwandes und somit die meiste Arbeit.
Manche würden sagen, dass der Teufel im Detail steckt. Doch, anstatt zu versuchen, alle Details zu klären, warum diese nicht nach Wichtigkeit einordnen und sich auf die Prioritäten konzentrieren?
Es ist wichtig, sich darüber klar zu sein, dass Perfektion nicht existiert und daher ein sinnloses Kriterium ist. Es ist besser, etwas Fehlerhaftes zu produzieren und aus den Rückmeldungen zu lernen. So funktioniert das menschliche Lernen: wir bauen auf früheren Schritten und Lernbausteinen auf.

6. Mangel an Selbstvertrauen: Manchmal fühlt man sich einer Aufgabe nicht gewachsen. In diesem Fall ist es ratsam, die eigenen Überzeugungen und Glaubenssätze über sich selbst zu überprüfen. Wichtig ist auch, die möglichen Konsequenzen einer Handlung, bzw. Nicht-Handlung einzuschätzen. Die folgende Geschichte aus Indien veranschaulicht das. Beim Bau des Taj Mahals trugen unzählige Arbeiter Steine aus dem Steinbruch auf die Baustelle, Tag für Tag, Stunde um Stunde, unter einer sengenden Sonne. Eines Tages kam ein Fremder vorbei und betrachtete diese eindrucksvolle Szene. Wie überrascht war er, als er unter den ununterbrochenen Fluss der Arbeiter Einen sah, der mit einer besonderen Aura und einem Lächeln den Eindruck erweckte, als freue er sich, diese anstrengende Aufgabe auszuführen. Verwundert fragte der Fremde den Arbeiter, weshalb er so glücklich aussehe? Dieser antwortete: “Ich baue das Taj Mahal, eines der Sieben Weltwunder der Welt.” Andere Arbeiter hätten ihm ihre Arbeit wohl als blosses Tragen von Steinen beschrieben. Den tieferen Sinn einer Sache zu sehen, hilft die Motivation und den Mut zu steigern.

7. Stress. Stress ist einer der grössten Feinde der Leistungsfähigkeit und der Kreativität. Und ohne Kreativität ist es schwierig, sich die nächsten Schritte vorzustellen und zu planen. Stressbewältigung ist daher von zentraler Bedeutung, wenn es darum geht, diese Ursache der Prokrastination zu überwinden. Das ist ein Thema für einen weiteren Blogbeitrag. Allgemein lässt sich sagen, die Strategien zur Stressbewältigung sind sehr individuell, der Eine joggt, ein Anderer spielt Gitarre, und manchmal reicht sogar eine kurze Atemübung um aus einem Produktivitätstief herauszukommen.

© 2022 Teodora Rudolph

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